«Einen gescheiten Satz zu schreiben, gibt mir Halt»

Sebastian Steffen ist Sprach- und Klangkünstler. Eben ist sein drittes Buch erschienen. In einer Bieler Beiz spricht er über seine Arbeitsweise und über seine grossen Umwege hin zu seinem Schreibglück und Schreib«chrampf». Er wird auch im März 2024 im Offenen Höchhus in Steffisburg sprechen, lesen und musizieren.

Er schreibt eine Seite, streicht, tüftelt, lies sich vor, lauscht dem Klang, klopft den Textrhythmus auf den Tisch. Es bleibt eine halbe Seite. Weiter streichen, umstellen. Es bleiben, wenn es gut läuft, vielleicht noch ein oder zwei Sätze. Diese aber müssen gut genug sein, sonst ist nichts mehr übrig und etwas will er doch, muss er aufs Papier bringen, denn: «Einen gescheiten Satz zu schreiben, gibt mir Halt». Dies sagt Autor Sebastian Steffen (39), laut Klappentext von Beruf Möchtegern-Spengler, Ziegenhirt, Landschaftsgärtner, Betreuer und Unterstützungslehrperson. 

Talk im Höchhus mit Sebastian Steffen
Wann: 12. März 2024, 19 Uhr
Wo: Offenes Höchhus, Höchhusweg 17. 3612 Steffisburg

«I wett i chönnt Französisch»

Sein Vormittag in zwei Bieler Kindergärten ist eben zu Ende. Wir treffen uns am Vorabend des offiziellen Erscheinungstermins seines dritten Romans «I wett i chönnt Französisch» im Verlag Der gesunde Menschenversand. Das neue Buch in Grau und Grün liegt zwischen uns auf dem Tisch. Ein schöner Druck, klare Schrift, feines Papier, mit Lesebändchen und Schrift-Prägung auf dem Umschlag. Haptisch verführerisch, etwas für Buch-Liebhaber:innen. Ich bin elektrisiert, hatte ich doch erst die Fahnen gelesen und schaue Sebastian deshalb erwartungsvoll an: «Was ist das für ein Gefühl?» 

Der dritte Roman, erschienen am 5. Dezember 2023. – Bild: Cover, Verlag Der gesunde Menschenversand

Sebastians Blick wandert zum Fenster raus: «Heute nicht mehr die gleiche Euphorie wie beim Erstling. Wenn man schon mal über längere Zeit mit 50 neuen und unverkauften Büchern in der Wohnung gelebt hat, ist man eher ernüchtert.»

Von knapp zu kurz, von kurz zu noch kürzer 

Das war ganz anders beim ersten Buch «Aschtronaut unger em Miuchglasdach – Astronaut unter dem Milchglasdach» (Die Brotsuppe, 2016). Bei Erscheinen träumte er davon, als Schriftsteller leben zu können. 

Das Buch entstand aus seiner damaligen Lebenssituation: Eine 5-jährige Beziehung fand ein Ende. Dicht und unmittelbar brachte er die ganze Geschichte bereits in den ersten Sätzen auf den Punkt: «Geschter hei mer üs trennt. (…) Me sött sech nid amene Fritig trenne. (…) We me sech am Mäntig trennt, isch d’Chance vom ene Absturz chlyner.»

Ein «Chrampf» sei es gewesen, ächzt Sebastian noch heute. Seither hat er sich und sein Schreiben weiterentwickelt. Die Sätze sind noch kürzer, füllen oft kaum Zeilen und geben den Gedankengeschichten dazwischen noch mehr Raum. Jetzt habe er ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Erstling, er könne den Text fast nicht mehr ernst nehmen.

Erstling und Abschlussarbeit als Wendebuch in zwei Sprachen. Der Zweitling nur noch in Mundart. – Bild: Heidi Bühler

Schreiben

Während das erste Buch noch als Wendebuch in Mundart und Hochsprache erschien, so gab es beim Zweitling keine Kompromisse mehr. Seeländer Mundart ist Sebastians Herzenssprache. Er will so schreiben, wie er spricht. Er hat in Mundart einen noch grösseren Wortschatz. Er lebt in diesem Sprachrhythmus, im Klang der Bieler Färbung mit dem geschlossenen O, versetzt mit französischen Brocken: «voilà», «plus ou moins». 

Fürs Schreiben brauche er Ruhe. Seine liebste Zeit sei am frühen Morgen, gleich nach dem Aufwachen: «Da ist die Festplatte noch leer», da komme was aus dem Innersten aufs Papier. 

Manchmal gehe es auch nach dem Arbeiten oder nach einem kurzen Nickerchen. Aber schreiben muss sein. Kommt er mal längere Zeit nicht dazu, ist ihm nicht wohl. 

Sprachliche Klangbilder 

Die Musik ist immer gleich um die Ecke bei Sebastian. Mit Freund und Studienkollegen Mathias Schmid bildet er die Band «Wasser». Auf ihren Stil angesprochen, grinst er: Sie machten definitiv keine Mainstream-Musik. Ein bisschen schräg seien sie schon, aber ja… sie begleiteten auch seine Lesungen. 

Band «Wasser». Mit dem Bandkollegen Mathias Schmid macht Sebastian keine Mainstream-Musik. – Bild: Sebastian Steffen

Dass dies in jedem Fall gut passt, ist mir sofort klar, denn aus einer Laune raus las ich mir das zweite Kapitel aus «I wett i chönnt Französisch» mal laut vor. Et voilà, der Text sang, zog, klopfte, fiel in einen Rhythmus, schlug einen Klangbogen, mündete in Refrains und mutet auf der Buchseite auch graphisch wunderschön an.

Einfach zu lesen sind seine Bücher nicht: Hier muss man Wort für Wort ran und, da in Mundart geschrieben, auch mal fast Buchstabe für Buchstabe.

Woher kommen die Ideen?

Sebastian schreibt über Dinge, die er gut kennt: Über Aussenseiter, unsichere Menschen, fast möchte man sagen über «starke Loser»; er beschreibt Lustiges aus seiner Kindheit, oder eben eine Trennung wie im ersten Buch und im neuesten Buch über das tote Mädchen im Maisfeld, für das es auch einen realen Hintergrund gibt. Danach verfremdet und verdichtet er und schreibt die Rahmengeschichte. Die brauche es schon, findet er, sonst seien all die Bilder schwer verdaulich. 

«Immer schon» schrieb und erfand er Geschichten. Zuhause las die Mutter viel vor. Der Klang ihrer Vorlesestimme, Sprachklang überhaupt, faszinierten ihn. 

Daneben war die Schauspielerei sein grosses Glück. In andere Rollen schlüpfen, jemand anderes sein. Wie kann man einem Gefühl Ausdruck verleihen? Wie wird eine Geschichte erzählt? Während der Schulzeit durfte er manche Rolle übernehmen. Davon spricht er noch heute begeistert.

Sebastian Steffen, Wort- und Klangkünstler. – Bild: Sebastian Steffen

Der steinige Schulweg

In der Schule liebte er auch die Aufsätze. «Die konnte allerdings kaum jemand lesen», lacht er, weil Buchstaben und Zeilen beim starken Legastheniker so arg durcheinandergerieten. Die Schulkarriere war entsprechend leidvoll. Weil er aber gestalterisch und musikalisch stark war, setzten die Eltern aufs Schlössli Ins. 

Er verliess die Schule nach 2 Jahren mit grossen Lücken, machte einen Abschluss mit Aussicht auf genau zwei Möglichkeiten für Lehrstellen, wie er heute sagt: Bauspengler oder Bäcker. Er wählte Bauspengler, denn er wollte daneben auch in den Ausgang und das sah er nicht vereinbar mit Bäckerarbeitszeiten. Der Bau blieb ein kurzes Intermezzo – es war nicht sein Ding. Er machte schliesslich eine Ausbildung als Fachmann Betreuung und arbeitet immer noch im Beruf.

All dies erzählt er mir in dürren Sätzen, unaufgeregt. Ich blicke auf das grau-grüne Buch, das zwischen uns liegt und habe Mühe, den Bogen dazu zu schlagen. 

«Ich hätte nie gedacht, dass sie mich dort tatsächlich aufnehmen». – Bild: Schweizerisches Literaturinstitut

Und dann doch ins Schweizerische Literaturinstitut

Er schrieb erste Liedtexte für seine Band und liess sich von grossen Filmen inspirieren. Seit jeher haben es ihm Tragikomödien angetan. «American beauty» etwa, «A Single Man» oder «Mio fratello è figlio unico» und «The Big Lebowski». Diese Filme und noch viele andere mehr sah er unzählige Male und wusste dann: Etwas in dieser Richtung möchte er künftig schreiben.

Der Wendepunkt kam, als er einen Freund vom Schweizerischen Literaturinstitut erzählen hörte und alles in seinen Ohren einfach nur wunderbar klang. Natürlich traute er sich eine Bewerbung zunächst nicht zu. Er schrieb mir nämlich in einer Mail: «Jedoch nach dem erfolgreichen Abschluss der Ausbildung zum Betreuer und dem damit verbundenen Hochgefühl, doch nicht ganz so dumm zu sein wie befürchtet, brachte ich den nötigen Mut auf und bewarb mich. Ich hätte nie gedacht, dass sie mich tatsächlich dort aufnehmen…»

J'aime les gens qui doutent, les gens qui trop écoutent leur cœur se balancer 
J'aime les gens qui disent et qui se contredisent et sans se dénoncer 
J'aime les gens qui tremblent, que parfois ils ne semblent capables de juger
J'aime les gens qui passent moitié dans leurs godasses et moitié à côté
...
Anne Sylvestre (1934-2020)

Ohne Matura und auch ohne Glanztext (seine Worte!) wurde er angenommen. «Man habe wohl sein Potential erkannt», windet er sich. Aus seiner Abschlussarbeit wurde sein erstes Buch. 

4 Fragen an Sebastian Steffen

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Wenn meine Tochter ruft
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Bekehrungsversuche auf dem Bahnhofplatz